„Die Weisheit der Alten spricht nicht laut – sie flüstert in den Winden, ruht in den Steinen und lebt in den Händen derer, die sie bewahren.“
Im Jahr 1949 begegnete der Anthropologe Dr. Oscar Núñez del Prado erstmals einigen Q’ero-Indianern beim Festival von Paucartambo. Sechs Jahre später, 1955, leitete er die erste westliche Expedition in ihre abgelegene Heimat in den Hochanden. Im Verlauf seiner Forschung konnte er nachweisen, dass die Q’eros direkte Nachfahren des Inka-Adels sind.
Die Nachfahren der Inkas und Hüter einer lebendigen Tradition
Diese Erkenntnis stützte sich auf mehrere bemerkenswerte Merkmale: die Prophezeiung über die Rückkehr des Inka, die traditionellen Muster in ihrer Kleidung – identisch mit jenen, die von spanischen Chronisten zur Zeit der Eroberung dokumentiert wurden – sowie ihr Wissen über die Quipus, jene komplexen Knotenschnüre, mit denen die Inkas einst Daten über Bevölkerung, Steuern und Ernten speicherten.
Die Q’eros selbst berichten von einem historischen Ereignis, bei dem spanische Soldaten versuchten, in ihr Gebiet vorzudringen. Die Dorfpriester baten die Apus – die mächtigen Geister der Berge – um Schutz. Infolge dessen lösten sich große Felsbrocken aus den Hängen und begruben die Eindringlinge unter sich. So bewahrte die spirituelle Kraft der Natur ihre Gemeinschaft vor dem Untergang.
Mystiker, Priester, Heiler – das spirituelle Erbe
Die Q’eros verstehen sich als Bewahrer einer lebendigen, spirituellen Tradition. Die Praktizierenden dieser Lehre nennen sich Paqos [ausgesprochen: pa-ko]. Sie vereinen die Rollen von Heiler, Priester, Mystiker und Wissendem. Als eine der wenigen indigenen Gemeinschaften Südamerikas leben die Q’eros dieses überlieferte Wissen bis heute in einer sehr ursprünglichen und reinen Form.
Entgegen verbreiteter Annahmen flohen sie nicht während der spanischen Eroberung in die Berge – sie lebten schon immer dort. Ihrer Legende zufolge wurden sie von Inkarí und Qoyllari, dem ersten Inka-König und seiner Königin, unterrichtet. Diese, gesandt von Wiraqocha, brachten ihnen Ackerbau, Viehzucht und die Kunst des Webens. Aus diesem Grund bezeichnen sich die Q’eros auch als „Kinder von Inkarí“.
Der Weg in die Freiheit
Noch bis in die 1960er- und 70er-Jahre lebten viele Q’eros unter der Kontrolle von Großgrundbesitzern (Hacendados) und waren gezwungen, als Leibeigene zu arbeiten. Dr. Núñez del Prado setzte sich mit großem Engagement für ihre Befreiung ein. Noch vor der offiziellen Landreform ermöglichte er, dass die Q’eros ihr angestammtes Land von der peruanischen Regierung zurückerhielten.
Dieser historische Schritt bedeutete nicht nur die Rückkehr in die Unabhängigkeit, sondern auch die Stärkung ihrer kulturellen Identität. Heute bilden die Q’eros eine selbstbestimmte Gemeinschaft, die ihre Traditionen mit Würde und Stolz weiterlebt.
Bewahrer einer lebendigen Weisheit
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelten die Q’eros als lebendige Zeitzeugen einer der tiefgründigsten spirituellen Kulturen der Welt. Dank der Arbeit von Forschern wie Dr. Jorge Flores Ochoa, Juan Núñez del Prado und Manuel Castillo Farfán ist heute viel über das último ayllu inka – die letzte Inka-Gemeinde – bekannt.
Der peruanische Kulturminister bezeichnete die Q’eros als ein „nationales, lebendiges Kulturerbe“. Ihr Wissen reicht von alten Heilpraktiken und spirituellen Zeremonien über kunstvolle Webtechniken bis hin zu einem tief verwurzelten Verständnis der Landwirtschaft.
Noch heute nutzen die Q’eros ein archipelartiges Anbausystem – kleine Felder in unterschiedlichen Höhenlagen, die ihnen ermöglichen, in verschiedenen Klimazonen Nahrung zu produzieren. Diese Methode, die schon von den Inkas erfolgreich angewandt wurde, zeugt von der nachhaltigen Weisheit dieser Kultur.
Die Q’eros sind nicht nur Nachfahren der Inkas – sie sind lebendige Brücken zu einer Welt, in der Mensch, Natur und Geist untrennbar miteinander verbunden sind. Ihre Lebensweise erinnert uns daran, dass tiefes Wissen nicht laut, sondern leise, achtsam und im Einklang mit allem gesprochen wird.
Die Stimmen der Ahnen
Bis heute werden in Peru diese 13 Namen noch gerufen,
um die Bänder der lebendigen Energie zwischen der materiellen und der geistigen Welt zu führen.
Es sind die uralten Namen, die einst das Reich der Inkas regiert haben:
„Manco Qhapaq, Sinchi Roq’a, Lloq’e Yupanki, Mayata Qhapaq, Qhapaq Yupanki,
Inka Roq’a, Yawar Waqaq, Wiraqocha, Pachacuteq, Topa Inka Yupanki,
Wayna Qhapaq, Waskar, Atawallqa“