Die Lehre der Inkas – spirituelle Kunst aus den Hochanden

Juan Núñez del Prado

Der Begriff „Schamanismus“ wird häufig verwendet, um spirituelle Traditionen indigener Völker zu beschreiben – auch die der Inkas. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich: Die Inka-Tradition unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem, was klassisch unter Schamanismus verstanden wird.

Schamanismus – ein kurzer Überblick

Ein Schamane ist traditionell jemand, der mit Hilfe veränderter Bewusstseinszustände Zugang zur „Anderswelt“ findet. Durch Trance, Trommeln, Gesänge oder bestimmte Pflanzen öffnet er das Tor zur geistigen Welt, um mit Geistführern oder Krafttieren in Kontakt zu treten. Seine Aufgabe ist es, Heilung, Führung und Erkenntnis für die Mitglieder seiner Gemeinschaft zu bringen.

Typische Merkmale schamanischer Arbeit sind:

  • ein veränderter Bewusstseinszustand
  • Reisen in die Anderswelt
  • Austausch mit Geistwesen oder Krafttieren
  • persönliche Wissensweitergabe von Lehrer zu Schüler

Doch die spirituelle Praxis der Inkas folgt einem anderen Weg.


Der Weg des Paqo – verbunden mit allen Welten

Ein Paqo, ein Praktizierender der Inka-Tradition, strebt keinen veränderten Bewusstseinszustand an. Sein Ziel ist es vielmehr, die Realität zu sehen, wie sie wirklich ist – ohne Illusionen, ohne Projektionen.

Er bewegt sich bewusst zwischen den drei Welten:

  • Kay Pacha – die sichtbare, greifbare Welt
  • Hanaq Pacha – die obere Welt, das höhere Selbst
  • Uju Pacha – die innere Welt, die Schatten- und Ahnenwelt

Stets in Verbindung mit Pachamama, den Apus (Berggeistern), den Ñustas (heiligen weiblichen Kräften), mit den Ahnen und spirituellen Helfern, lebt der Paqo seine Arbeit im Alltag – still, innerlich, mit voller Bewusstheit.


Die Inka-Tradition als spirituelle Struktur

Die Wurzeln der Inka-Tradition reichen weit zurück – zu den Kulturen von ChavínTiahuanaco und Wari. Ab dem 11. Jahrhundert wuchs daraus ein spirituelles Weltreich, das im 16. Jahrhundert über 16 Millionen Menschen verband.

Die Inka-Tradition umfasst ein strukturiertes System spirituellen Lernens, das in klar definierte Stufen der Bewusstseinsentwicklung gegliedert ist. Jede dieser Stufen ist durch praktische Übungen, Rituale und Initiationen erfahrbar.

So entstand ein Ausbildungsweg, der dem von Religionen wie Christentum, Buddhismus oder Hinduismus in Tiefe und Konsequenz vergleichbar ist – und der doch einen ganz eigenen, naturverbundenen Zugang zur Wirklichkeit eröffnet.


Spirituelle Praxis als Kunst

Wie in der Kampfkunst oder im Yoga ist es in der Inka-Tradition nicht entscheidend, ob man von Natur aus hellsichtig oder besonders feinfühlig ist. Was zählt, ist das regelmäßige Üben, die Hingabe an den Prozess.

Wer diesen Weg geht, begegnet sich selbst in immer neuen Schichten – mit Klarheit, mit Demut, mit Mut.


KANAY – der Inka-Samen in dir

Die alten Meister sprechen vom Inka-Samen – KANAY.
Er ist eine innere Essenz, die alles in sich trägt, was du brauchst, um dein volles Potenzial zu entfalten.

Dieser Samen erinnert dich an das, was in dir liegt, wenn du dich ganz entfaltest. Durch die Verbindung mit der lebendigen Energie des Kosmos beginnt dieser Samen zu wachsen.

Mit Kanay lernst du, dich selbst zu achten, dir zu vertrauen und dich in deinem Wesen zu genießen.
Du stärkst dein Selbstbewusstsein – und findest Schritt für Schritt in die Selbstliebe.

Denn genau darum geht es:
Zu erkennen, wer du wirklich bist. Und den Mut zu finden, dein Leben entsprechend zu gestalten.